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Titel
200 Jahre Karlsbader Beschlüsse. Zustandekommen, Inhalte, Folgen


Autor(en)
Wilke, Jürgen
Reihe
Presse und Geschichte – Neue Beiträge
Erschienen
Bremen 2019: Edition Lumière
Anzahl Seiten
250 S.
Preis
€ 29,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas C. Hofmann, Oberschleißheim

Im August 1819 trafen sich im böhmischen Karlsbad Vertreter der zehn mächtigsten Staaten im Deutschen Bund, um ein Maßnahmenpaket in die Wege zu leiten, das in die Geschichte als die Karlsbader Beschlüsse einging. Sie gelten der Historiografie als ein Grund, weshalb der Deutsche Bund sich im Vormärz zu einem repressiven System entwickelt habe. Anlässlich ihres 200. Jahrestages entstand die zu besprechende Darstellung, die ausweislich ihres Untertitels „Zustandekommen, Inhalte und Folgen“ behandelt. Verfasst wurde die Studie von Jürgen Wilke, emeritierter Mainzer Professor für Publizistik, der zahlreiche Schriften zur Medien- und Kommunikationsgeschichte sowie der Geschichte der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft vorgelegt hat.

Der Schwerpunkt der Ausführungen liegt auf der Vorgeschichte, den Ministerialkonferenzen selbst, den Folgen ihrer Umsetzung sowie der ikonographischen und musealen Rezeption. Der Klappentext verrät, dass für Wilke „zahllose höchst unerfreuliche Erfahrungen und gescheiterte Hoffnungen“ sowie „eine jahrzehntelange Phase der politischen und geistigen Repression“ der rote Faden für eine Beurteilung der Karlsbader Beschlüsse sind. Er sieht sie als wesentlichen Faktor dafür, „dass Deutschland zur sprichwörtlich ‚verspäteten Nation‘“ (S. 11) geworden sei. Damit folgt er zwar einer Reihe prominenter Historiker wie Hans-Ulrich Wehler, Thomas Nipperdey und Ernst Rudolf Huber, vernachlässigt aber, dass ausgewiesene Experten im Deutschen Bund „Entwicklungschancen einer konstruktiven ‚Bundesinnenpolitik‘“ (Wolfram Siemann), eine „föderative Nation“ (Dieter Langewiesche) oder einen „politisch-soziale[n] Raum für die Deutsche Nation“ (Wolf D. Gruner) sehen.

Im ersten Kapitel betrachtet Wilke die Vorgeschichte der Karlsbader Beschlüsse. Die auf dem Wiener Kongress verabschiedete Bundesakte enthielt mit Artikel 13 über die Einführung landständischer Verfassungen und Artikel 18d über die Behandlung der Pressefreiheit zwei offene „Cliffhanger“, die „unerfüllte Versprechen“ (S. 19) blieben. Trotzdem entstand eine kritische und oppositionelle Presse, die Wilke mit den dahinter stehenden Akteuren im Detail darstellt. Nach einer Betrachtung der Turnerschaft, der Burschenschaften, des Wartburgfestes 1817 sowie des Aachener Kongresses 1818 zeigt er, welchen publizistischen Diskurs der Mord an Kotzebue 1819 auslöste. Es war Friedrich Gentz, der das Attentat als ein Ereignis „‚framte‘“ (S. 44), das die Karlsbader Beschlüsse „unausweichlich“ (ebd.) gemacht habe. Clemens Fürst von Metternich und der preußische König Friedrich Wilhelm III. vereinbarten in der Teplitzer Punktation Leitlinien zu aktuellen und grundsätzlichen Politikthemen und legten sie der Karlsbader Konferenz als „Tagesordnung“ (S. 49) vor.

Wilke zeigt im zweiten Kapitel, dass die Karlsbader Ministerialkonferenzen keine Geheimdiplomatie gewesen sind. Den Zeitgenossen war bekannt, dass ein Treffen hochrangiger Diplomaten in Karlsbad stattgefunden hat. Bei den Beratungen über die Presse interpretierte Gentz mit „syllogischer Rabulistik“ (S. 66) den Artikel 18d der Bundesakte um. Für die Verschärfung der Aufsicht über die Universitäten wurde der Bericht einer im Mai 1819 eingesetzten Bundestagskommission umgeschrieben. Wegen der Untersuchung „revolutionärer Umtriebe“ war strittig, ob die Aburteilung solcher Verbrechen durch ein besonderes Bundesgericht erfolgen solle. Die provisorische Exekutionsordnung richtete sich expressis verbis auch auf die Durchsetzung der anderen in Karlsbad getroffenen Beschlüsse. Bei der Interpretation des Artikel 13 der Bundesakte zeigten sich divergierende Standpunkte, da sie „grundsätzliche Prinzipien der Staatsbildung und des Staatscharakters“ (S. 82) betraf. Fragen der Handelserleichterung sowie die Rechte der Mediatisierten wurden auf die Wiener Ministerialkonferenzen verwiesen.

Im Folgenden wirkt die Gliederung unausgeglichen, da vier Kapitel auf nicht einmal 15 Seiten die „Beschlussfassung durch den Bundestag und [die] Publikation der Beschlüsse“ (Kapitel 3), die „Wiener Ministerialkonferenzen 1819/20 und die Wiener Schlussakte“ (Kapitel 4), die rechtliche „Umsetzung in den Bundesstaaten“ (Kapitel 5) sowie deren „Verlängerung und Verschärfung“ (Kapitel 6) behandeln.

Das siebte Kapitel erläutert die Auswirkungen der Karlsbader Beschlüsse. Die durch das Bundespreßgesetz angestoßene Zensurpraxis sowie daraus resultierende Berufsverbote schildert Wilke an konkreten Beispielen. Aus der folgenden Emigration von Publizisten entwickelte sich eine Exilpresse insbesondere in Frankreich und der Schweiz. Das Bundesuntersuchungsgesetz schuf die bis 1828 tagende Zentraluntersuchungskommission, wobei Wilke auch die 1833 durch eigenes Gesetz errichtete Bundeszentralbehörde und – spätestens hier vom Thema abschweifend – das allein Österreich verantwortliche Mainzer Informationsbüro behandelt. Auch nicht durch das Bundesuniversitätsgesetz motivierte Professorenentlassungen sind unter „Die Universitäten und die Demagogenverfolgungen“ (Kapitel 7.5) angeführt. Daher bleibt Wilke die Antwort auf die Frage schuldig, ob Professoren unmittelbar durch die Karlsbader Beschlüsse wirklich ihr Amt verloren. Er erkennt auch nicht, dass es sich bei den Bundesexekutionsordnungen der Jahre 1819 und 1820 um zwei aufeinander folgende aber unterschiedliche Rechtsnormen handelte und seine für den Vormärz geschilderten Fälle zwar auf den Geist, aber nicht auf die Karlsbader Beschlüsse selbst zurückgingen.

Die Darstellung ist auf die Makroebene der Pressepolitik beschränkt, wenn Wilke unter „Gescheiterte Revision und parlamentarische Initiativen“ (Kapitel 8) das Badische Pressegesetz von 1831/32 „als einzig[] ernsthafte[n] Versuch“ (S. 151) zur Aufhebung der Karlsbader Beschlüsse sieht. Zwar sind für den Universitätssektor bundespolitisch relevante Initiativen zur Liberalisierung der Karlsbader Beschlüsse nicht nachweisbar. Auf der Mesoebene hatten Einzelstaaten wie Preußen und Bayern aber Überlegungen zur Aufhebung der „landesherrlichen Bevollmächtigten“ an den Universitäten angestellt.1 Seinen pressegeschichtlichen Fokus setzt Wilke fort, da er unter „Organisierter Widerstand“ (Kapitel 9) nur den Preß- und Vaterlandsverein behandelt und auf der Mikroebene der Universitäten existierende Widerstände der Burschenschaften eine Randnotiz bleiben. Auch „Das Ende“ (Kapitel 10) der Karlsbader Beschlüsse hat bei Wilke einzig eine pressepolitische Dimension, obwohl eine Betrachtung des Universitätswesens eine Horizonterweiterung bewirkt hätte. In seiner „kritischen ‚Gesamtbewertung‘“ (Kapitel 11, S. 169) betrachtet er fast nur die seiner Meinung nach zu positiven Argumentationslinien der Metternichbiografie Wolfram Siemanns und fasst die Karlsbader Beschlüsse als „Stigma der deutschen Geschichte“ (S. 172) zusammen.

Einen zentralen Erkenntnisgewinn bringen „Zwei Exkurse“ (Kapitel 12), in denen Wilke die ikonografische und museale Rezeption der Karlsbader Beschlüsse untersucht. Er bespricht zeitgenössische Karikaturen aus dem Vormärz, welche die Folgen der Karlsbader Beschlüsse für die Presse und die Universitäten versinnbildlichen. Die Darstellung geht über eine reine Beschreibung hinaus und liefert den Leser/innen zum Verständnis erforderliche Interpretationen. Wilkes Reise durch die Museen beginnt in Karlsbad selbst, dessen Stadtmuseum die dort 1819 gefassten Beschlüsse im Rahmen der Stadtgeschichte behandelt. Zu Recht kritisiert Wilke, dass die Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums die Karlsbader Beschlüsse nicht thematisiert2, während das begleitende „Lebendige Museum Online“ sie immerhin separat erläutert. Das Mainzer Gutenberg-Museum, die Rastatter Erinnerungsstätte und das Hambacher Schloss widmen den Karlsbader Beschlüssen eigene Abschnitte. Eine Rezeption in österreichischen Museen konnte Wilke nicht nachweisen. Dies stützt die Vermutung, dass die Karlsbader Beschlüsse an österreichischen Universitäten nicht angewandt und bestehende Vorschriften als weitreichender erachtet wurden.3

Wilkes „200 Jahre Karlsbader Beschlüsse“ präsentieren „Zustandekommen, Inhalte, Folgen“ in einer neuen Gesamtdarstellung und betten sie in ein Narrativ ein, das von der Gründung des Deutschen Bundes 1815 bis zur Revolution 1848/49 reicht. Höhepunkte hat dieses Narrativ in der Darstellung der Vorgeschichte, des Konferenzverlaufs sowie dem Exkurs zur ikonografischen und musealen Rezeption. Die Darstellung leidet dagegen unter dem übermäßigen Fokus auf die Pressegeschichte sowie Ungenauigkeiten auf der Faktenebene.4

Die Karlsbader Beschlüsse schufen mit der Zentraluntersuchungskommission eine suprastaatliche Polizeibehörde5 und legten mit den „landesherrlichen Bevollmächtigten“ die Grundlage für ein transstaatliches universitätspolizeiliches Netzwerk. Zu dem staatenübergreifend agierenden Preß- und Vaterlandsverein schreibt Wilke selbst: „Ohne die Karlsbader Beschlüsse hätte es ihn aller Wahrscheinlichkeit nach nicht gegeben“ (S. 161). Leider erkennt er diese Potenziale der Karlsbader Beschlüsse für eine „Nationsbildung durch Kommunikation“ (Karl W. Deutsch) nicht. Nicht dem Autor anzulasten sind nicht zitierfähige URLs für Internetressourcen sowie sichtbare Inkonsistenzen im Textsatz des Bandes. Diese Mängel resultieren aus einer Verlagspolitik, die das Lektorat nur noch als passive Schnittstelle zwischen Autor und Druckerei versteht.

Anmerkungen:
1 Andreas C. Hofmann, Deutsche Universitätspolitik im Vormärz (1815–1848). Ein Beitrag zur Neubewertung des Deutschen Bundes, Berlin 2019, S. 221, 304.
2 Vgl. Andreas C. Hofmann, Deutsches Historisches Museum. Dauerausstellung „Deutsche Geschichte vom Mittelalter bis zum Mauerfall“, in: aussichten. Perspektivierung von Geschichte, 09.02.2019, www.aussichten-online.net/2019/02/10049 (25.02.2019).
3 Hofmann, Universitätspolitik, S. 171, 303.
4 „Bundesländer“ (S. 97) statt richtig „Bundesglieder“; „consileum abeundi“ (S. 141) statt richtig „consilium abeundi“; „Königlich-Österreichische[r] Präsidialgesandter“ (S. 166) statt richtig „Kaiserlich-Königlicher Präsidialgesandter“ oder „Kaiserlich-Österreichischer Präsidialgesandter“.
5 Franziska Reiner, Die Mainzer Zentraluntersuchungskommission 1819 bis 1829. Zum Dilemma einer ›supranationalen Polizeibehörde‹, in: aventinus nova 17 (Winter 2009), http://www.aventinus-online.de/no_cache/persistent/artikel/7831/ (04.03.2019).